es ist dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen.
Zu unserem Fall:
Mit Beschluss vom 09.03.2017 wies das Landgericht unseren Antrag der Antragstellerin auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens im Unfallversicherungsrecht mit der Begründung zurück, dass angeblich „die Anspruchsvoraussetzungen für eine Invaliditätsleistung offensichtlich nicht vorliegen“ würden.
Wir legten sofortige Beschwerde ein und begründeten die wie folgt.
"Der Beschluss des LG Freiburg vom 09.03.2017 ist rechtsfehlerhaft. Mithin ist der Beschluss aufzuheben und es ist dem Antrag der Antragstellerin auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens vom 08.11.2016 stattzugeben.
Begründung:
I.)
Die Argumente des Landgericht im Beschluss vom 09.03.2017 verfangen nicht. Das Landgericht wies den Antrag der Antragstellerin auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens vom 08.11.2016 mit der Begründung zurück, dass angeblich „die Anspruchsvoraussetzungen für eine Invaliditätsleistung offensichtlich nicht vorliegen“ würden (vgl. Blatt 91 der Gerichtsakte: Ziff. II.2. des Beschlusses des LG Freiburg vom 09.03.2017).
Bereits an dieser Stelle ist zu rügen, dass das Landgericht im Beschluss vom 09.03.2017 offensichtlich (zudem ohne vorherige ausreichenden richterliche Hinweise) lediglich eine „Prüfung nach Aktenlage“ im selbständigen Beweisverfahrens vorgenommen hatte, um die Erfolgsaussichten der geltend gemachten Ansprüche „im Urteilsstil“ zu prüfen und endgültig zu verneinen, obwohl eine solche Begründet-heitsprüfung im selbständigen Beweisverfahren nicht zu erfolgen hat.
Höchstrichterlich bereits geklärt ist, dass der Begriff des rechtlichen Interesses nach § 485 Abs. 2 ZPO weit zu fassen ist. Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen,
vgl. OLG Celle, Beschluss vom 18. Oktober 2010, Az. 8 W 32/10;
LG Karlsruhe, Beschluss vom 09.06.16, Az. 8 OH 2/16.
Ein rechtliches Interesse kann nur dann verneint werden, wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner oder ein Anspruch nicht ersichtlich ist. Dabei kann es sich aber nur um völlig eindeutige Fälle handeln, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch (auch nach weiteren späteren und neuen Darlegungen und Beweiserhebungen im Hauptsacheverfahren) keinesfalls bestehen kann, vgl.
vgl. BGH VersR 2010, 133
BGH NJW 2004, 3488
OLG Celle OLGR Celle 2004, 281
OLG Celle OLGR Celle 2003, 241
OLG Celle BauR 2000, 601;
LG Karlsruhe, Beschluss vom 09.06.16, Az. 8 OH 2/16.
Ein solcher Evidenzfall ist hier aber nicht gegeben, da die streitigen Umstände zu den unfallversicherungsrechtlichen materiellen und formellen Anspruchsvoraussetzungen erst (nach Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens) im Klageverfahren vollständig vorgetragen/nachgewiesen werden können und dürfen, mithin erst im Hauptsacheprozess abschließend geklärt werden können.
1)
Vor allem das Argument des Landgerichts, es habe die Antragstellerin im selbständigen Beweisverfahren nicht ausreichend „behauptet“ und nicht „unter Beweis gestellt“ innerhalb eines Jahres nach den jeweiligen Unfällen in ihrer Leistungsfähigkeit dauerhaft beeinträchtigt worden zu sein (vgl. Blatt 91 der Gerichtsakte: Ziff. II.2.1. des Beschlusses des LG Freiburg vom 09.03.2017) verfängt nicht.
Das Landgericht verkennt hier die herrschende Rechtsprechung zum selbständigen Beweisverfahren (welche bspw. vom LG Karlsruhe mit Beschluss vom 09.06.2016, Az. 8 OH 2/16 (liegt als Anlage der Beschwerdebegründung bei) zutreffend ausgeführt wird.) Hiernach ist einem solchen Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens immer stattzugeben, wenn der Antrag die Vorgaben des § 487 ZPO beachtet, weil es das Erfordernis der „hinreichenden Erfolgsaussicht des Hauptprozesses“ im selbständigen Beweisverfahrens nicht gibt; denn § 487 ZPO stellt klar, dass die Antragstellerin in ihrem Antrag gerade nicht (!) zu den Anspruchsvoraussetzungen vortragen müsse, da die Prüfung der einzelnen Anspruchsvoraussetzungen allein Aufgabe des Hauptsacheverfahrens sei.
Auch die bereits vorgelegte Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 02.02.2017, Az. 9 W 57/16 bestätigt eine solche „weite“ Zulässigkeit von unfallversicherungsrechtlichen selbständigen Beweisverfahren.
Folglich war die Antragstellerin hier gerade nicht verpflichtet, bereits im selbständigen Beweisverfahren schlüssig, ausführlich und vollständig zu allen unfallversicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen vorzutragen. Der Antrag der Antragstellerin musste hiernach lediglich folgenden Vortrag enthalten: Die Bezeichnung des Gegners; die Bezeichnung der Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll; die Benennung der Zeugen oder die Bezeichnung der übrigen nach § 485 zulässigen Beweismittel; sowie die Glaubhaftmachung der Tatsachen, die die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens und die Zuständigkeit des Gerichts begründen sollen. Da alle diese Voraussetzungen hier vorlagen, war der Antrag der Antragstellerin zulässig.
a)
Ebenso das nachfolgende Argument des Landgerichts verfängt nicht: Bereits „nach ihrem eigenen Vorbringen“ sei -nach Ansicht des Landgerichts- eine unfallbedingte Invalidität der Antragstellerin ausgeschlossen, da eine ärztliche Bescheinigung vom 27.03.2012 in Anlage AS2 gegen die Annahme einer unfallbedingten Invalidität spreche (vgl. Blatt 91 der Gerichtsakte: Ziff. II.2.1. des Beschlusses des LG Freiburg vom 09.03.2017).
Das Landgericht berücksichtigt an dieser Stelle jedoch nicht, dass die Antragstellerin in ihrem Antragsschriftsatz im selbständigen Beweisverfahren nicht verpflichtet gewesen ist, nachzuweisen, dass sie fristgerecht innerhalb eines Jahres nach den jeweiligen Unfällen in ihrer Leistungsfähigkeit dauerhaft beeinträchtigt worden ist.
Das Landgericht verkennt zudem, dass Anlage AS2 lediglich den Teil der Unterlagen aus der Versicherungsakte der Antragsgegnerin darstellt, welche von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29.09.2014 der Antragstellerin zur Verfügung gestellt worden ist.
Es bleibt mithin allein einer Beweisaufnahme im Hauptsacheprozess vorbehalten, zu klären, dass bei der Antragstellerin jeweils fristgerecht eine unfallbedingte Invalidität eingetreten ist (bspw. durch Vernehmung der ärztlichen Mitbehandler als Zeugen; Vorlage der nötigen Behandlungsunterlagen nach § 142 ZPO; etc.).
b)
Auch das nachfolgende Argument des Landgerichts verfängt nicht. Unter Hinweis auf eine Anlage B9 der Antragsgegnerin geht das Landgericht sodann pauschal davon aus, dass „ohnehin“ eine verspätete Unfallmeldung vorliege und man hieraus schliessen müsse, dass daher eine unfallbedingte Invalidität fehle (vgl. Blatt 91 der Gerichtsakte: Ziff. II.2.1. des Beschlusses des LG Freiburg vom 09.03.2017).
Auch diese Schlussfolgerung des Gerichts (welche „mit der groben Kelle über den Fall der Antragstellerin hinwegfegt“) ist in dieser Form -insbesondere im selbständigen Beweisverfahren- nicht zulässig. Denn das Landgericht darf (gerade) im selbständigen Beweisverfahrens keinesfalls (aus dem Zusammenhang gerissene) Anlagen der Antragsgegnerin heranziehen, um den Anspruch der Antragstellerin als „offensichtlich nicht gegeben“ zu bewerten, um das rechtliche Interesse des § 485 Abs. 2 ZPO zu verneinen.
Ob und inwieweit die Antragstellerin hier wirklich ausschließlich „verspätete“ Meldungen an die Antragsgegnerin machte, wird ebenso allein im Hauptsacheverfahren geklärt werden können.
Zwischen den Parteien ist bereits streitig, welches Bedingungswerk hier Vertragsbestandteil wurde. Die Antragstellerin legte im Verfahren bereits dar, dass auch ihre mündlichen Meldungen an die Antragsgegnerin wirksam und ausreichend gewesen waren. All diese Umstände können noch konkretisiert und später durch Vernehmung von Zeugen und Parteien abschließend geklärt werden, was aber allein dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.
Zudem ist (bzw. wird) zwischen den Parteien noch streitig bzw. zu klären sein, dass die Antragstellerin hier die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a) Allianz AUB 2008 erfüllt hat bzw. dass das Verhalten der Antragsgegnerin hier konkret die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a) Allianz AUB 2008 teilweise entbehrlich machte (siehe hierzu noch unten), was ebenso allein dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.
Das Bestreiten des Anspruches durch die Antragsgegn. führt hier jedenfalls keinesfalls dazu, dass es für das Landgericht vorliegend evident sein muss, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann. Es ist h.M., dass ein Bestreiten des von der Antragstell. vorgetragenen Sachverhaltes durch die Antragsgegn. nicht zum Verlust des rechtlichen Interesses an der Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens führen kann, vgl.
OLG Celle · Beschluss vom 18. Oktober 2010 · Az. 8 W 32/10.
c)
Ebenso das weitere Argument des Landgerichts, es sei an dieser Stelle ohne Belang, ob jeweils ausreichende Hinweise nach § 186 VVG gegenüber der Antragstellerin überhaupt erfolgten (vgl. Blatt 93 der Gerichtsakte: Ziff. II.2.1. des Beschlusses des LG Freiburg vom 09.03.2017), verfängt nicht.
Wie bereits dargelegt, stellt Anlage AS2 lediglich denjenigen Teil der Unterlagen aus der Versicherungsakte der Antragsgegnerin dar, welche von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29.09.2014 der Antragstellerin zur Verfügung gestellt worden sind.
Es wird allein im späteren Hauptsacheverfahren zu prüfen und von der Antragsgegnerin zu beweisen sein, ob und inwieweit hier der Versicherer die Antragstellerin auf vertragliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen, sowie auf einzuhaltende Fristen in Textform hingewiesen hat, was bereits hier - ausweislich des Antragsschriftsatzes der Antragstellerin vom 08.11.2016 - streitig ist. Es wird im Hauptsacheverfahren festgestellt werden, dass jeweils dieser Hinweis nicht ausreichend erfolgte, mithin sich der Versicherer auf Fristversäumnis nicht berufen kann (§ 186 VVG). Ebenso diese Umstände können lediglich durch Vernehmung von Zeugen und Parteien abschließend geklärt werden.
Auch für die Einhaltung der Jahresfrist des § 2 Abs. 1a) Allianz AUB 2008 kann das hier im Raum stehende -und noch zu konkretisierende- unredliche Verhalten des Versicherers erheblich sein (vgl. zur Treuwidrigkeit: Rüffer/Halbach/Schimikowski, Kommentar zum VVG, 3. Aufl., Ziff. 2 AUB 2010, Rn. 11).
2)
Zudem verfängt das weitere Argument des Landgerichts, es habe die Antragstellerin im selbständigen Beweisverfahren nicht ausreichend zum Erfordernis der rechtzeitigen ärztlichen Feststellung der Invalidität „vorgetragen“ (vgl. Blatt 93 der Gerichtsakte: Ziff. II.2.2. des Beschlusses des LG Freiburg vom 09.03.2017), nicht.
Erneut verkennt das Landgericht, dass es (auch nach LG Karlsruhe, Beschluss vom 09.06.2016, Az. 8 OH 2/16) im selbständigen Beweisverfahrens das Erfordernis der „hinreichenden Erfolgsaussicht des Hauptprozesses“ nicht gibt, denn § 487 ZPO stellt klar, dass die Antragstellerin in ihrem Antrag gerade nicht (!) zu den einzelnen Anspruchsvoraussetzungen vortragen muss, da die Prüfung der einzelnen Anspruchsvoraussetzungen allein Aufgabe des Hauptsacheverfahrens sei.
a)
Desweiteren verfängt das nachfolgende Argument des Landgerichts nicht. Unter Hinweis auf die gegnerischen Anlagen B8 und B9 geht das Landgericht fest davon aus, dass die Unfälle vom 01.03.2010 und vom 01.11.2012 erst am 10.06.2014 der Antragsgegnerin gemeldet worden seien (vgl. Blatt 93 der Gerichtsakte: Ziff. II.2.2. des Beschlusses des LG Freiburg vom 09.03.2017). Wie bereits vorgetragen, ist auch dieser Umstand streitig, er kann lediglich durch Vernehmung von Zeugen und Parteien abschließend geklärt werden, was allein dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.
b)
Auch verfängt das nachfolgende Argument des Landgerichts nicht. Es läge -so das Landgericht- eine „unscharfe Bezeichnung des jeweiligen Unfallzeitpunktes“ vor, was eindeutig dafür spreche, dass es jeweils an rechtzeitigen ärztlichen Feststellungen der Invalidität fehlen würde (vgl. Blatt 93 der Gerichtsakte: Ziff. II.2.2. des Beschlusses des LG Freiburg vom 09.03.2017). Auch an dieser Stelle würdigt das Landgericht lediglich die den Sachverhalt nur unvollständig widerspiegelnden Anlagen, um die Erfolgsaussichten der Ansprüche der Antragstellerin bereits im selbständigen Beweisverfahren zu negieren, was in dieser Form -wie bereits erläutert- unzulässig ist, vgl. OLG Celle · Beschluss vom 18. Oktober 2010 · Az. 8 W 32/10. Zudem hat die Antragstellerin in ihrem Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens vom 08.11.2016 die jeweiligen Unfallzeitpunkte durchaus konkret dargelegt.
c)
Das Landgericht legt der Antragstellerin im vorliegenden selbständigen Beweisverfahren rechtsfehlerhaft zur Last, dass sich aus den von der Antragstellerin zum selbständigen Beweisverfahrens vorgelegten Unterlagen eine ausreichende ärztliche Feststellung nicht entnehmen lasse (vgl. Blatt 93 der Gerichtsakte: Ziff. II.2.2. des Beschlusses des LG Freiburg vom 09.03.2017), um damit das rechtliche Interesse nach § 485 II ZPO zu verneinen. Das Landgericht verkennt hier erneut, dass Anlage AS2 lediglich den Teil der Unterlagen aus der Versicherungsakte der Antragsgegnerin darstellt, und dass die Antragstellerin außergerichtlich und im selbständigen Beweisverfahrens nicht verpflichtet gewesen ist, sämtliche ärztliche Unterlagen zu beschaffen und vorzulegen. Es bleibt allein einer Beweisaufnahme im Klageverfahren vorbehalten, dass im Versicherungsfall ausreichende ärztliche Feststellung erfolgt sind bzw. ggf. noch später nachgereicht werden können (bspw. durch Vernehmung der ärztlichen Mitbehandler als Zeugen unter Vorlage der nötigen Behandlungsunterlagen und Patientenkarteien nach § 142 ZPO; etc.).
d)
Auch verfängt das abschließende Argument des Landgerichts nicht. Erneut unter Hinweis auf die gegnerischen Anlagen B10 und B11 geht das Landgericht fest pauschal davon aus, dass die Antragsgegnerin hier den Hinweispflichten des § 186 VVG genügt habe und die Antragstellerin deshalb ausreichende ärztliche Feststellung nicht fristgerecht bei der Antragsgegnerin eingereicht. Die Antragstellerin hätte -so das Landgericht- bereits im vorliegenden selbständigen Beweisverfahren die schriftlichen ärztlichen Feststellungen nachreichen müssen (vgl. Blatt 93 der Gerichtsakte: Ziff. II.2.2. des Beschlusses des LG Freiburg vom 09.03.2017).
Diese Schlußfolgerung ist rechtsfehlerhaft. Wie bereits vorgetragen, hatte die Antragstellerin lediglich im Rahmen des § 487 ZPO ihren Sachvortrag zu leisten. Es wird daher allein im Hauptsacheverfahren zu prüfen und von der Antragsgegnerin zu beweisen sein, ob und inwieweit hier der Versicherer die Antragstellerin auf vertragliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie einzuhaltende Fristen in Textform hingewiesen hat und ob und inwieweit solche Hinweise der Antragstellerin hier zugegangen sind.
II.)
Folglich muss auch der Streit über die „formalen Anspruchsvoraussetzungen“, d.h. der Streit über den fristgerechten Eintritt der Invalidität, die fristgerechte ärztliche Feststellung, sowie die fristgerechte Geltendmachung der Ansprüche ausschließlich dem Hauptsacheprozess vorbehalten bleiben und darf nicht ins selbständigen Beweisverfahrens vorverlagert werden; denn gerade bei der Prüfung der formalen Anspruchsvoraussetzungen im Unfallversicherungsrecht sind eine Vielzahl von streitigen Tat- und Rechtsfragen zu klären.
Insbesondere:
1)
Der unfallbedingte Gesundheitsschaden muss zwar innerhalb eines Jahres seit dem Unfall den Charakter eines Dauerschadens erreicht haben. Maßgebend ist aber nur, ob bei ggf. rückschauender Betrachtung innerhalb des ersten Unfalljahres ein Zustand bei der Antragstellerin festgestellt werden kann, der (voraussichtlich) dauerhaft verbleiben wird. Ist dies streitig, kann die Klägerin dies im Hauptsacheprozess (regelmäßig) durch ein Sachverständigengutachten und Vernehmung von ärztlichen Behandlern beweisen. Dem Sachverständigen muss dann vorgegeben werden, dass er bezogen auf den zurückliegenden Zeitraum innerhalb des Unfalljahres lediglich eine Prognose anzustellen hat, vgl. Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Auflage 2016, § 12, Rn. 263ff.. Eben diese Umstände können nicht im selbständigen Beweisverfahren, sondern nur im Hauptsacheverfahren abschließend geklärt werden.
2)
Auch ist zu berücksichtigen, dass an die fristgerechte ärztliche Feststellung keine hohen Anforderungen zu stellen sind, so dass die Antragstellerin (später) im Klageverfahren durch Vorlage der Patientenakte und Vernehmung der Behandler den Beweis führen kann bzw. wird (vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski, Kommentar zum VVG, 3. Aufl., Ziff. 2 AUB 2010, Rn. 8). Die von manchen Versicherern an dieser Stelle vertretene Auffassung (der Arzt als Zeuge sei „unsicher“) betrifft nur die Beweiswürdigung und Beweislastverteilung und ist daher keine zulässige Erwägung bei der Klauselauslegung bzgl. der formellen Anspruchsvoraussetzungen. Für den durchschnittlichen VN dürfte die Notwendigkeit einer Manifestation der Invaliditätsfeststellung (die zudem dem Versicherer noch nicht einmal innerhalb der Frist vorliegen muss) nach dem Wortlaut und erkennbarem Sinn der Klausel jedenfalls zweifelhaft sein. Unklarheiten gehen aber zulasten des Verwenders (§ 305c Abs. 2 BGB), so dass keine Schriftlichkeit verlangt wird, vgl. Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Auflage 2016, § 12, Rn. 274.
Das Landgericht verkennt hier zudem, dass die ärztliche Bescheinigung dem Versicherer auch nicht innerhalb der Frist zugegangen sein muss. Es reicht, dass sie fristgerecht erstellt worden ist und von der Antragstellerin später im Hauptsacheprozess (nicht im selbständigen Beweisverfahren!) spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung vorgelegt wird, vgl. Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Auflage 2016, § 12, Rn. 276. Die Anspruchsstellerin kann sich auch auf das Zeugnis des Arztes für die Feststellung eines Dauerschadens berufen, vgl. Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Auflage 2016, § 12, Rn. 283.
Alle diese Umstände können nicht im selbständigen Beweisverfahren, sondern nur im Hauptsacheverfahren abschließend geklärt werden.
3)
Zudem sind an die fristgerechte Geltendmachung der Ansprüche keine hohen Anforderungen zu stellen (mündliche Geltendmachung reicht nach den Allianz AUB 2008 aus, vgl. Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Auflage 2016, § 12, Rn. 283) und es können im Hauptsacheverfahren auch Heilungstatbestände geprüft werden (vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski, Kommentar zum VVG, 3. Aufl., Ziff. 2 AUB 2010, Rn. 12). Die Geltendmachung muss nicht ausdrücklich erfolgen, sondern kann sich auch aus den Umständen ergeben, vgl. Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Auflage 2016, § 12, Rn. 289. Auch diese Umstände können nicht im selbständigen Beweisverfahren, sondern nur im Hauptsacheverfahren abschließend geklärt werden.
4)
Unter anderem wird es im Hauptsacheprozeß auch darum gehen, ob die Hinweise der Antragsgegnerin an die mitversicherte Antragstellerin und gleichzeitig an die Versicherungsnehmerin hätten erteilt werden müssen (vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski, Kommentar zum VVG, 3. Aufl., § 186 VVG, Rn. 3).
Bei Verletzung der in § 186 S. 1 VVG geregelten Hinweispflicht oder daneben bestehenden Belehrungspflichten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) kann sich der Versicherer auf ein Versäumen verhaltensgebundener Fristen nicht „berufen“. Nach § 186 S. 1 VVG muss der Versicherer die mitversicherte Antragstellerin und gleichzeitig die Versicherungsnehmerin stets nach Anzeige eines Unfalls auf vertragliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie einzuhaltende Fristen in Textform hinweisen. Macht er dies nicht oder nicht richtig, ist die Fristversäumung unschädlich (§ 186 S. 2 VVG).
Auch wird im vorliegenden Fall (erst im Klageverfahren) noch darüber gestritten werden, ob die Hinweise -sollten diese ausreichend zugegangen sein - inhaltlich den Anforderungen der Rechtsprechung genügen (vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski, Kommentar zum VVG, 3. Aufl., § 186 VVG, Rn. 5).
Auch wird die Antragstellerin im Klageverfahren darlegen können, dass das Verhalten der Antragsgegnerin vorliegend treuwidrig gewesen ist, so dass auch deswegen keine Fristversäumnisse vorliegen bzw. durchschlagen (vgl. OLG Hamm, zfs 1999, 205; OLG Düsseldorf, VersR 2001, 449; OLG Frankfurt, VersR 2003, 361.; Rüffer/Halbach/Schimikowski, Kommentar zum VVG, 3. Aufl., Ziff. 2 AUB 2010, Rn. 14ff.).
Den Versicherer trifft die Beweislast dafür, dass er ordnungsgemäß und rechtzeitig belehrt hat, vgl. Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Auflage 2016, § 12, Rn. 299.
All diese Umstände können nicht im selbständigen Beweisverfahren, sondern nur im Hauptsacheverfahren abschließend geklärt werden.
III.)
Die Antragstellerin legte im vorliegenden Beweisverfahren mit Schriftsatz vom 08.11.2016 und 27.02.2017 in rechtlicher Hinsicht bereits weitere unfallversicherungsrechtlichen Besonderheiten bzgl. der Aktivlegitimation und der Anwendung des § 2 Abs. 1a) Allianz AUB 2008 dar, welche im Hauptsacheverfahren die Ansprüche der Antragstellerin untermauern werden.
IV.)
Das Landgericht verkennt zudem, dass eine Vermeidung des Rechtsstreits nicht notwendigerweise nur bei einem für die Antragstell. positiven Beweisergebnis in Betracht kommt. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass ein Sachverständiger zu einem für die Antragstell. negativen Ergebnis gelangt. In dem Fall könnte sich die Antragstell. fragen, inwieweit die Durchführung eines Rechtsstreits erfolgversprechend wäre, vgl. OLG Celle · Beschluss vom 18. Oktober 2010 · Az. 8 W 32/10. Der Vermeidung eines Rechtsstreits dient ein selbstständiges Beweisverfahren aber auch dann, wenn ein in Betracht kommendes Beweisergebnis die Antragstell. zu einer Abstandnahme von der ursprünglich vielleicht beabsichtigten Klage bewegen kann,
vgl. OLG Saarbrücken NJW 2000, 3439; Herget in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 485, Rn. 7a.;
Musielak, ZPO, 7. Aufl., § 485, Rn. 13; LG Karlsruhe, Beschluss 09.06.16, Az. 8 OH 2/16.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass unabhängig von den weiteren Anforderungen des vermeintlichen Anspruchs jeder Antragsteller nach § 485 ZPO Gefahr läuft, dass das von ihm erwirkte Gutachten in einem späteren Prozess nicht ausreicht oder sich gar als unerheblich erweist. Das hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, vgl. OLG Celle · Beschluss vom 18. Oktober 2010 · Az. 8 W 32/10. Die Gefahr eines letztlich vergeblich durchgeführten selbständigen Beweisverfahrens kann deshalb nicht dazu führen, die vom Gesetzgeber ganz bewusst weit gefassten Antragsvoraussetzungen der §§ 485 Abs. 2, 487 ZPO mit Rücksicht auf angebliche Besonderheiten bestimmter Streitsachen wieder einzuschränken, vgl. BGH VersR 2003, 794. OLG Schleswig OLGR Schleswig 2001, 279.
V.)
Mithin ist dem Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens hier stattzugeben.
Das Landgericht berücksichtigt nicht, dass nach § 485 Abs. ZPO ein rechtliches Interesse immer anzunehmen ist, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann (nicht muss!).
Auch die beantragten Beweisfragen sind zulässig, zudem kann das Gericht im selbständigen Beweisverfahren unklare oder missverständliche Formulierungen im Beweisantrag für seinen Beweisbeschluss (im Rahmen des vorgegeben Beweisthemas i.S.d. § 487 Abs. 2 ZPO) klarstellen, konkretisieren und/oder ergänzen, vgl. OLG Karlsruhe vom 02.02.2017, Az. 9 W 57/16.