Unser Mandant kam im beklagten Klinikum komplikationslos zur Welt. Seine Mutter hatte in der rechnerisch 40. Schwangerschaftswoche entbunden. Im Befund-Bericht des Neugeborenen ist vermerkt, dass es sich bei der Schwangerschaft seiner Mutter um eine solche ohne Komplikationen gehandelt hatte. Für mütterliche Infekte hatte es keine Anzeichen gegeben. Der GBS-Abstrich (zum Nachweis der Streptokokken-Gruppe B) des Neugeborenen war negativ ausgefallen.
Im Alter von 15 Stunden entwickelte der Neugeborene ein blass-ikterisches Hautkolorit (Färbung der Haut, die von Pigmentierung, Durchblutung und Sauerstoffversorgung abhängt). Außerdem waren die Entzündungsparameter des Neugeborenen erhöht. Die Ärzte verlegten das Baby in die Kinderklinik. Dort wurde eine breite Diagnostik zur Abklärung der Symptome durchgeführt. Während dessen verabreichten die Behandler dem Neugeborenen die Medikamente Ampicillin, Tobramycin, Cefotaxim und Acicolovir. Als Ursache der Beschwerden machten die Ärzte schließlich eine CMV-Infektion aus (Cytomegalie-Virus; gehört zu den Herpes-Infektionen). Zudem bestand ein Mangel an Thrombozyten (sogenannte „Thrombopenie“). Auch entdeckten die Behandler Verkalkungen im Bereich des rechten Thalamus.
Nach Erhalt der negativen Kulturen beendeten sie die Therapie und empfahlen den Eltern eine orale Therapie mit Valganciclovir.
Klinische Blutungszeichen zeigten sich nicht. Deshalb entließen die Behandler den neugeborenen Jungen in einem Alter von knapp 5 Wochen in die ambulante Betreuung beim Kinderarzt. Die Entzündungswerte des Neugeborenen waren zum Zeitpunkt der Entlassung immer noch erhöht. Die Ärzte empfahlen eine weitere Laborkontrolle knapp 3 Wochen später. Auch die Verkalkungen des Thalamus sollten im weiteren Verlauf regelmäßig kontrolliert werden.
Nach Rücksprache mit einem Arzt einer anderen Universitätsklinik empfahlen die Behandler die Erhöhung der Dosis des Medikaments Valganciclovir auf das Doppelte. Der Neugeborene sollte das Präparat 6 Wochen lang einnehmen. Die doppelte Dosis war viel zu hoch für unseren Mandanten. Des Weiteren handelte es sich bei der Gabe des Präparats um ein sogenannten „Off-Label-Use“. Valganciclovir ist für die Behandlung der Cytomegaliervirusretinitis bei Aids-Patienten zugelassen. Es wird im Körper zu dem eigentlichen Wirkstoff Ganciclovir umgewandelt. Für eine Behandlung von Herpes-Viren ist das Medikament jedoch nicht zugelassen. Bei unserem Mandanten wurde die Behandlung demnach „off-label“, also außerhalb des Zulassungsbereichs durchgeführt. Zu den Nebenwirkungen von Valganciclovir zählen unter anderem Leberschäden.
"Off-Label-Use" von Valganciclovir.
Die Ärzte behandelten die Thrombophenie unseres Mandanten nicht weiter. Auf eine Gabe von Thrombozytenkonzentrat verzichteten sie. Bereits wenige Tage nach der Entlassung des kleinen Jungen kam es so zu einer immer weiter blutenden Wunde aufgrund einer kleinen, oberflächlichen Verletzung an der Nagelhaut. Kurze Zeit später konnte die Mutter des Neugeborenen viele kleine rote Punkte an dessen Körper beobachten. Um das Wohl ihres Sohnes besorgt, machte sie sich auf zum Kinderarzt. Dieser nahm dem Baby Blut ab. An der Stelle des Einstiches stellte sich eine Nachblutung ein. Der Kinderarzt legte einen Druckverband an. Trotzdem hörte die Blutung nicht auf. Die Eltern des Babys entschlossen sich deshalb dazu, das Valganciclovir abzusetzen. Sie hatten den Eindruck, es mache ihr Kind krank.
Nach einer weiteren Absprache mit dem Kinderarzt stellte sich heraus, dass in der gesamten Zeit im Klinikum keinerlei Gerinnungsparameter im Blut des kleinen Jungen bestimmt worden waren. Der Kinderarzt empfahl einen erneuten Krankenhausaufenthalt.
Im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte neben der bereits bekannten CMV-Infektion auch einen „Vitamin-K Mangel bei Cholestase mit Blutungen“. Umgehend verabreichten die Behandler dem kleinen Jungen Vitamin-K venös. Im Anschluss an die Vitamin-Gabe stabilisierten sich die Gerinnungsparameter im Blut. Die Behandler konnten keine Aufzeichnungen über die Bestimmung von Gerinnungsparametern im Zuge des ersten Krankenhausaufenthalts finden. Sie beteuerten aber deren Existenz.
Bezüglich der Gabe des Valganciclovir empfahlen die Ärzte den Eltern, mit der Therapie weiter zu machen. Eine negative Wirkung des Medikaments verneinten die Behandler ausdrücklich.
Im Rahmen einer erneuten Schädelsonografie entdeckten die Ärzte eine eingeblutete Zyste im Bereich des Thalamus. Am darauffolgenden Tag ergab sich der Verdacht einer weiteren kleinen Blutung im Schädelbereich. Immer noch wurde eine mögliche negative Wirkung des Medikaments Valganciclovir vehement verneint.
Leberfunktionsstörung und Epilepsie.
Bei einem Blutbild zeigten sich sehr schlechte Leberwerte. In diesem Zustand könne man den kleinen Jungen unter keinen Umständen nach Hause entlassen, teilen die Ärzte den Eltern mit. Eine weitere Untersuchung zeigte erhöhte Cholestaseparameter. Zu diesem Zeitpunkt äußerten die Ärzte erstmalig den Verdacht, dass die schlechten Werte mit der Gabe des Valganciclovir zusammen hängen könnten. Umgehend wurde die Gabe dieses Präparats gestoppt. Schnell kam es zu einer Verbesserung des Allgemeinzustands bei dem kleinen Jungen. Dennoch waren viele Nachuntersuchungen notwendig. Hierfür besuchte unsere Mandantschaft eine Reihe an städtischen Universitätskliniken.
Im Rahmen dieser Nachbehandlungen wurde die schädliche Wirkung des Valganciclovir weiter verkannt. So schoben die Behandler die diffusiv verstärkte Echogenität des Parenchyms beider Nieren auf eine Neuaufflammung des CMV-Infekts. Dabei gilt das Wiederaufkommen einer solchen Infektion bei sonst gesunden Neugeborenen als unmöglich. Viel naheliegender wäre es gewesen, bei der möglichen Ursache für die Schädigung der Nieren an die Gabe des Valganciclovirs zu denken. Auch aus den immer noch erhöhten Bilirubinwerten hätte eine schädigende Wirkung des Präparats geschlossen werden müssen. Stattdessen hielten die Behandler lediglich die Ungewöhnlichkeit der erhöhten Werte fest und dokumentierten, dass der Verlauf auf eine Verschlechterung der Cholestase unter der hochdosierten Behandlung mit Valganciclovir hin deute.
Kurze Zeit später stellten die Eltern des kleinen Jungen fest, dass das Gehirn ihres Sohnes nicht mehr wuchs. Bis zum Zeitpunkt der Behandlung hatte sich der Kopfumfang des Kindes immer innerhalb der Normwerte vergrößert. Nun aber war kein Wachstum mehr zu beobachten. Der behandelnde Arzt bestätigte den möglichen Zusammenhang zwischen den schlechten Leberwerten und dem Wachstum des Gehirns. Seit die Leberwerte des kleinen Jungen wieder besser sind, wächst auch das Gehirn in einem normalen Umfang weiter.
Entwicklungsretardierung durch Behandlungsfehler.
In einem Alter von ungefähr 1,5 Jahren erlitt unser Mandant einen Sturz. Danach traten Krämpfe, Zuckungen, Müdigkeit und Erbrechen auf. Die Eltern brachten ihr Kind abermals in das städtische Klinikum. Dort wurde der kleine Junge stationär aufgenommen. Im Arztbericht wird eine „bekannte Entwicklungsretardierung“ erwähnt. Die Möglichkeit einer solchen Störung war bei den vorangegangenen Behandlungen jedoch nur vorsichtig im Raum gestanden, jedoch nie festgestellt oder gegenüber den Eltern als bestehend kommuniziert worden.
Während des stationären Aufenthalts diagnostizierten die Ärzte eine „Konnatale CMV-Infektion mit Polymikrogyrie, Mikrozephalus, Entwicklungsverzögerung, Vitamin K-Mangel, Hirnparenchymblutung (rechts parietal, links occipital), Genese unklar (DD CMVHepatitis, hepatotoxische Nebenwirkung Valganciclovir)“ und eine „Symptomatische (strukturelle) Epilepsie mit komplex-fokalen Anfällen, einmalig komplex-fokaler Status“.
Wir werfen den Ärzten eine Reihe an Behandlungsfehler vor. Zum einen versäumten es die Behandler, schon im Rahmen des ersten stationären Aufenthaltes des kleinen Jungen die Gerinnungsparameter im Blut zu bestimmen, obwohl auch dort bereits Valganciclovir verabreicht worden war. Bei korrektem ärztlichen Verhalten wären die bedenklichen Blutwerte, wie unter anderem auch der Vitamin-K Mangel, früher aufgefallen und damit besser behandelbar gewesen. Die Gerinnungsstörung, die ohne entdeckt zu werden erst einmal ungehindert fortbestand, führte zu Hirnblutungen bei unserem Mandanten, letztlich sogar zu einer Epilepsie. Da das nicht Erheben von Gerinnungsparametern bei einer bestehenden Thrombopenie medizinisch schlichtweg unverständlich ist, handelt es sich vorliegen um einen groben Behandlungsfehler. Unserer Mandantschaft kommt insofern die Beweislastumkehr zugute.
Außerdem wäre ganz grundsätzlich eine regelmäßigere und bessere Kontrolle der Blutwerte während der Gabe von Valganciclovir erforderlich gewesen. Vor allem da den Ärzten die cholestatische Hepatopathie des kleinen Jungen bereits bekannt war. Vorliegend haben die Behandler eine umfassende Blutkontrolle jedoch unterlassen. Durch die hohe Dosis des Valganciclovir kam es so zu einer zunächst unerkannten Leberfunktionsstörung, die wiederum zu einem drastischen Vitamin-K Mangel bei unserem Mandanten führte. Weiter blieb das Gehirnwachstum für den Zeitraum stehen, in dem die Leberwerte sehr schlecht waren. Erst später setzte das Wachstum des Gehirns wieder ein. All dies hätte durch eine gute Kontrolle der Blutwerte verhindert werden können. Es liegt ein Behandlungsfehler vor.
Des Weiteren sind den Behandlern auch Therapiefehler vorzuwerfen. Aufgrund der schweren cholestatischen Hepatopathie wäre umgehend die Verabreichung von Vitamin-K erforderlich gewesen. Diese erfolgte hier viel zu spät. Zudem hätten die Ärzte unseren Mandanten aufgrund der schlechten Thrombozytenwerte mit Thrombozytenkonzentrat behandeln müssen.
Wir fordern Schmerzensgeld.
Durch die vorliegenden Behandlungsfehler erlitt unser Mandant schwere gesundheitliche Schäden. Es kam zu mindestens 3 Gehirnblutungen, die später zu einer Epilepsie und Mikrozephalie führten. Deshalb ist unser Mandant in seiner Entwicklung langsamer, als andere Kinder im selben Alter. Aktuell befindet sich unser Mandant mindestens 3 Monate hinter dem eigentlich normalen Entwicklungsstand. Sowohl physische als auch kognitive Fähigkeiten sind von dieser Verlangsamung betroffen. Die Schädigungen sind irreversibel und werden unseren Mandanten ein Leben lang begleiten. Die Epilepsie wird wohl eine lebenslange Therapie mittels Antiepileptika erforderlich machen. Im täglichen Leben wird unser Mandant sich stets nach seiner Epilepsie ausrichten müssen.
Für unseren Mandanten fordern wir ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 100.000 Euro. Außerdem fordern wir die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden, die unserem Mandanten in Folge der Behandlungsfehler in der Zukunft noch entstehen werden.
Für weitere Fragen zum Thema stehen Ihnen unsere Patientenanwälte sehr gerne mit Rat zur Seite. Es grüßt Sie herzlich...
… Ihr Michael Graf, Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht