In diesem Fall aus dem Bereich der Arzneimittelhaftung geht es um gravierende Nebenwirkungen des Präparats „Tysabri“. In Folge der Einnahme des Arzneimittels ist es bei unserer Mandantin zu einem echten Dauerschaden gekommen. Wir fordern Schmerzensgeld und Schadensersatz.
Schwere Schäden durch "Natalizumab".
Unsere Mandantin litt schon seit einigen Jahren an Multiple Sklerose. Zur Behandlung der Krankheit setzten ihre Ärzte verschiedene Medikamente ein. Zu Beginn erfolgte die Behandlung mit dem Präparat „Rebfi“und später mit „Tecfidera“. Aus verschiedenen Gründen folgte auf die Therapie mit diesen beiden Präparaten zunächst eine Zeit ohne Therapie der Erkrankung.
Drei Jahre später veranlasste eine Neurologin die intravenöse Therapie mit dem Medikament „Tysabri“. Dabei handelt es sich um ein Präparat mit dem Wirkstoff „Natalizumab“. Hergestellt wird das Präparat von der Firma Biogen GmbH. Erstmals war das Präparat im Jahr 2004 von der „U.S. Food and Drug Administration“ zugelassen worden. Nachdem drei Fälle mit progressiver multifokaler Leukenzephalopathie aufgetreten waren, wurde das Präparat nach gerade einmal drei Monaten wieder vom Markt genommen. Erst über ein Jahr später erfolgte eine erneute Zulassung, die allerdings an diverse Sicherheitsauflagen geknüpft war. In diesem Zuge wurde der Einsatz des Wirkstoffes Natalizumab erstmals für die Behandlung von hochaktiver Multiple Sklerose zugelassen.
Bereits kurze Zeit nach Beginn der Therapie mit „Tysabri“ zeigten sich Nebenwirkungen. Es kam zu einer hohen entzündlichen Aktivität der Multiple Sklerose. Es verstärkten sich die Kribbelparästhesien im Bereich des Nackens, des Rumpfes, der oberen und unteren Extremitäten. Zudem traten weitere Beschwerden auf: Es kam zu einer Hinterstrangstörung, einer rechtsseitige Hemiparese, einem Blasenkontrollverlust, zu Stimmungsschwankungen, einem Spannungsgefühl in beiden Waden, permanenter Müdigkeit und Erschöpfung, zu Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Schwindel- und Gleichgewichtsstörungen, Kopf- und Gelenkschmerzen und einer kaum mehr vorhandenen Körperkraft. Außerdem hatte unsere Mandantin ständig das Gefühl, als würden ihr die Waden „platzen“.
Immunthrombozytopenie als Nebenwirkung.
Als sich einige Monate später zusätzlich zahlreiche Hämatome an den Unterschenkeln unserer Mandantin zeigten und ihre Leistungsminderung im Alltag immer zu stieg, untersuchte man sie eingehend in einem Klinikum. Dort diagnostizierten die Ärzte „Thrombozytopenie WHO III“ bzw. eine „sekundäre Immunthrombozytopenie“ - also eine Blutungsneigung aufgrund eines Mangels an Blutplättchen. Die Behandler ordneten die Diagnose als Nebenwirkung des Präparats „Tysabri“ ein. Sie setzen die Anwendung des Medikaments ab und behandelten unsere Mandantin monatelang mit Immunglobulinen, Cortison und anderem.
In der Behandlungsdokumentation heißt es wörtlich: „Die Therapie mit „Natalizumab“ musste nach der jetzt diagnostizierten Immunthrombozytopenie beendet werden, da hier am ehesten eine medikamentös indizierte autoimmunologische Folgeerkrankung vorliegt. Zu dieser Einschätzung kamen wir nach Rücksprache mit mehreren Fachkollegen und auch mit dem Hersteller des Präparats“.
Leider zeigten sich noch weitere Auswirkungen der langen Therapie mit „Tysabri“. Bei einer Kernspintomografie des Kopfes bemerkten die Behandler multiple infratentorielle (unterhalb des Kleinhirnzelts) und supratentorielle (oberhalb des Kleinhirnzelts) juxtakortikale (neben der Hirnrinde) und perventrikuläre (um ein Hirnventrikel herum) Läsionen.
Als Nebendiagnose stellten die Ärzte eine „unspezifische relative Lymphozytose nach Natlizumab“ fest. Die behandelnde Neurologin beschreibt in ihrem Arztbericht eine Depression und Fatique, eine akute Thrombozytopenie, eine schubförmige und eine aktive Multiple Sklerose. Zudem sind im Arztbericht viele weitere Beschwerden aufgezählt. Unter anderem handelt es sich dabei um gravierende Bewegungseinschränkungen in der Hüfte und den Beinen. Die Neurologin führt aus, dass noch über Monate hinweg eine Therapie der Immunthrombozytopenie notwendig sein wird. Auch in diesem Bericht ist der Zusammenhang zwischen der Gabe von Tysabri und den Beschwerden unserer Mandantin eindeutig erwähnt.
Knapp ein halbes Jahr nach der Diagnose der Thrombozytopenie begannen die Behandler mit einer Antikörpertherapie zur weiteren Behandlung der Multiple Sklerose.
Schwerer Dauerschaden.
Bei unserer Mandantin kam es in Folge der Gabe von „Tysabri“ zu massiven Verschlechterungen ihrer MS-Symptomatik. Durch die auftretende Immunthrombozytopenie wurde unsere Mandantin aus dem Leben geworfen. Es kam zu gravierenden körperlichen und auch psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen. Seit dem Auftreten der schweren Nebenwirkungen leidet unsere Mandantin an einer schweren Depression. Körperlich machen sich die Folgen der Gabe von „Tysabri“ bis heute bemerkbar. Durch die Therapie mit dem Präparat kam es zu einer akuten Verschlechterung der Multiple Sklerose. Immer noch leidet unsere Mandantin an Kribbelparästhesien, einer Hinterstrangstörung, einer rechtsseitigen Hemiparese, kaum mehr vorhandener Körperkraft, dem Fatique Syndrom, starken Stimmungsschwankungen, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Harninkontinenz, Ein- und Durchschlafstörungen, massiven Gelenk- und Kopfschmerzen sowie Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. Zusätzlich kann unsere Mandantin nur eine deutlich reduzierte Gehstrecke zurücklegen. Für jede längere Strecke ist sie auf einen Rollstuhl angewiesen, den sie aufgrund ihrer Kraftlosigkeit jedoch nicht selbst anschieben kann.
Da außerdem ständig stechende Schmerzen auftreten, ist unsere Mandantin auf dieregelmäßige Einnahme von schmerzlindernden Medikamenten angewiesen. Dabei muss sie die verheerenden Nebenwirkungen dieser Präparate in Kauf nehmen.
Zusammenfassend steht fest, dass es bei unserer Mandantin infolge der Anwendung von „Tysabri“ zu einem schweren Dauerschaden gekommen ist.
Ein solches Auftreten einer Immunthrombozytopenie in Folge der Einnahme von "Tysabri" ist kein Einzelfall. Es ist beispielsweise ein Schadensfall aus dem Jahr 2010 bekannt, bei dem eine 25 Jahre alte Frau schon drei Wochen nach Therapiebeginn ähnliche Symptome aufwies wie unsere Mandantin. Letztlich wurde auch bei ihr eine Immunthrombozytopenie diagnostiziert.
Der Hersteller erkannte in einem Schreiben an, dass es sich bei dem Fall unserer Mandantin um einen „schwerwiegenden“ handelt.
Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Unserer Mandantin stehen erhebliche Schadensersatzforderungen zu. Der Hersteller des Präparats haftet nach der im Arzneimittelgesetz normierten Gefährdungshaftung (§ 84 Absatz 1 Satz 1 AMG) und nach Deliktsrecht (§ 823 BGB in Verbindung mit § 5 AMG). Unsere Mandantin hat einen Anspruch auf ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 120.000 Euro. Bei der Bemessung der Schmerzensgeldsumme ist zu berücksichtigen, dass unsere Mandantin durch die erlittenen Schäden in jedem Bereich ihres Lebens enorme Einschränkungen erfährt.
Außerdem besteht eine Ersatzpflicht des Herstellers hinsichtlich des unserer Mandantin bereits entstandenen und in der Zukunft noch entstehenden Haushaltsführungsschadens, sowie der künftig vermehrten Bedürfnisse. Da es sich hier um einen echten Dauerschaden handelt, ist nicht abzusehen, ob und inwiefern eine Besserung des Schadensbildes eintritt. Insofern haftet der Hersteller für alle weiteren unvorhersehbaren materiellen und immateriellen Schäden, die unserer Mandantin in Zukunft aufgrund der Einnahme von „Tysabri“ entstehen.
Aktuell befinden wir uns in außergerichtlichen Regulierungsverhandlungen mit dem Antragsgegner. Unser Ziel ist es, bereits auf diesem Wege eine angemessene Schadensregulierung für unsere Mandantin zu erreichen. So können die hohen Kosten und die lange Dauer eines Gerichtsprozesses vermieden werden.
Für weitere Fragen zum Thema stehen Ihnen unsere Patientenanwälte sehr gerne mit Rat zur Seite. Es grüßt Sie herzlich...
… Ihr Michael Graf, Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht